Folter: Juristen geben Prinzipien des Rechtsstaats preis (Zeit.de)
Ausschnitt:
Erster Auslöser dieser Auseinandersetzung war in Deutschland nicht, wie in Amerika, der grenzenlose Kampf gegen den Terror, sondern ein Kriminalfall, der ein paar Jahre zurückliegt und die Republik in Wallung versetzte: die Entführung des Bankierssohns Jakob von Metzler. [...] Angewendet auf einen solchen Fall, sagt Dreier nun nicht: Foltert, wenn nötig! Er fragt vielmehr: Ist es ganz undenkbar, die Tat des verzweifelten Polizisten zu rechtfertigen? Und gibt selbst keine Antwort. Das ist kein Dammbruch. Allenfalls ein Haarriss. Aber eben doch ein Riss, der sich unter Druck verbreitern könnte.
Andere sind da längst weiter. Sie haben schon die Fluttore geöffnet. [...] Sie schreiben, was vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen wäre: dass die sogenannte "Rettungsfolter" in Ausnahmefällen zulässig sei. Und stehen damit beileibe nicht mehr am schmuddeligen Rand des rechtswissenschaftlichen Diskurses. Sie haben mittlerweile einige der Zentren besetzt. [...] Und der Heidelberger Staatsrechtslehrer Winfried Brugger geht noch einen Schritt weiter. Unter bestimmten Umständen dürfe die Polizei nicht nur foltern: "sie muss es auch". Eine Pflicht, zu foltern – mitten unter uns, in Deutschland? Wir müssen verrückt geworden sein.
[...] das Recht lebt nicht davon, dass es noch die letzte Extremsituation regelt.
[...] es spricht Bände über die deutsche Neigung zur Hysterie, dass hierzulande manche die Folter ohne Not zu legitimieren versuchen, nach sechzig Jahren Frieden und Wohlstand, beim ersten Vorschein einer neuen Bedrohung.
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes lebten noch mit der durchaus begründeten Angst vor einem weiteren verheerenden Krieg. Und doch schrieben sie tapfer an den Anfang der Verfassung: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Man hat das gelegentlich den "normativen Ausdruck der 'Staatsidee' der Bundesrepublik" genannt. Das ist nicht bloß eine pathetische Formel. Tatsächlich verändert der Staat sein Wesen, wenn er die Menschenwürde verletzt, und sei es die Menschenwürde seiner übelsten Feinde. [...] Der Staat, der foltert, ist kein Rechtsstaat mehr. (Quelle: Zeit.de)