(Via FixMBR.de) Wider die Ideologen des Internets! (Zeit.de)
Ein Heinrich Wefing meint in einem ellenlangen Artikel bei Zeit.de, dass die Gegner der Internetsperrpläne von Ursula von der Leyen Anarchisten seien, dass die Gegner der Internetsperren Internetfreaks seien, die ganz allgemein gegen Strafverfolgung im Internet seien, dass für sie das Internet einen besonderen, idealistischen Raum darstelle, in der es aus ideologischen Gründen keine Regulierung geben dürfe.
Dass es jedoch letztlich nur um einen Streit über die richtigen Methoden der Bekämpfung von Kriminalität im Internet geht, verschweigt Wefing. Er verschweigt, dass die Alternative, nämlich das Löschen von Kinderpornografie, eine effizientere und wirksamere Art des Vorgehens gegen Kinderporno-Bilder im Internet ist und dass Internetsperren teilweise sogar eine Strafverfolgung behindern und ansonsten kaum einen Effekt haben. Er verschweigt, dass das die Meinung von Experten ist und nicht die Meinung von irgendwelchen Internetspinnern. Er suggeriert, dass das Internet nur von wenigen Leuten genutzt wird. Er schmeißt Kinderpornografie und den Verstoß von Urheberrechten in einen Topf. Er übersieht die Frage der Verhältnismäßigkeit beim Beschneiden von Bürgerrechten.
Kurz: Heinrich Wefings Artikel ist völlig unbrauchbar, weil er von einer völlig falschen Prämisse ausgeht, weil er von etwas ausgeht, was so gar nicht existiert: Eine weitverbreitete anarchistische Ideologie unter den Internetnutzern in Deutschland. Der Artikel ist somit letztlich kein wertvoller Beitrag zu einer irgendwie zielführenden Diskussion.
Zitate:
Wieso hat es fast zwanzig Jahre gedauert, bis öffentlich formuliert wird, was doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist: dass das Netz kein rechtsfreier Raum ist. Dass im Cyberspace dieselben Gesetze gelten wie in der realen Welt. (Quelle: Zeit.de)
Wer hat das jemals verneint? Die vielen Unterzeichner der E-Petition gegen von der Leyens Internetsperren verneinen dies jedenfalls nicht.
Wieso dann die Zögerlichkeit, das Recht auch durchzusetzen? Warum haben Politik und Gesellschaft jahrelang zugelassen, dass Gesetze im Netz systematisch verletzt wurden, ganz offen, teils mit allen Anzeichen von Stolz über den Rechtsbruch? (Quelle: Zeit.de)
Was für eine Zögerlichkeit? Wenn Rechner bei Hausdurchsuchungen ruck zuck in Deutschland beschlagnahmt werden, weil jemand eine einzige MP3-Datei illegalerweise zum Download angeboten hat oder wenn kritische Berichte in Weblogs oder Satiren ruck zuck in Deutschland mit kostenpflichtigen Abmahnungen bombadiert werden, ist das zögerlich? Wefinger kapiert nicht, worum es eigentlich geht. Es geht darum, dass das Geschäftsmodell der Musikindustrie keine technische Grundlage mehr hat, weil ihr bisheriges Geschäftsmodell darauf beruhte, Kopien von Musik herzustellen und zu vertreiben. Es nutzt nichts, Millionen Bürger, die die neuen technischen Möglichkeiten nutzen zu kriminalisieren. Sie werden weiter die einfachen Möglichkeiten nutzen, Musik zu kopieren und zu verbreiten. Selbst wenn die Strafen erhöht werden. Der Grund ist nicht irgendeine Amoralität der Leute, die das Internet nutzen (also über 60% der Bevölkerung Deutschlands), sondern die technischen Möglichkeiten einerseits und die dadurch leider überflüssig gewordene Musikindustrie andererseits.
Das Netz ist anonym, das Recht ist personalisiert. (Quelle: Zeit.de)
Mag schon sein, dass manche Beleidigung in anonymen Weblogs ungeahndet bleibt, weil sie anonym erfolgt. Aber auch hier gilt es abzuwägen. Ein allgemeines Verbot anonymer Meinungsäußerungen beispielsweise (so wie in Italien gerade vorangetrieben und so wie in China längst realisiert), wäre ein weitaus größerer Schaden für eine demokratische Gesellschaft als das Verhindern mancher anonymer Beleidigungen.
Das Problem ist nicht, dass "Internetliebhaber" gesetzlose Gesellen sind, sondern dass die Durchsetzung von bestimmten Rechten im Internet technisch bedingt immer einhergeht mit einer tatsächlich absolut überbordenden, massiven Einschränkung bestimmter bürgerlicher Freiheitsrechte. Anders als in der analogen Welt kann man beispielsweise Nazipropaganda oder Beleidigungen im Internet nur hundertprozentig verfolgen, wenn man letztlich jede Internetaktivität jedes einzelnen Bürgers nonstop überwacht und erfasst. Das ist ein Trade-Off, der schlichtweg scheitern muss, der nicht getan werden kann und darf im Sinne einer freiheitlichen Gesellschaft. Und auch in der analogen Welt verfolgt niemand den Ansatz, jegliches mögliche Verbrechen im Vorfeld verhindern zu wollen.
Auch in der "analogen" Welt nimmt man ja hin, dass manche Zeitgenossen Lücken ausnutzen, um unerkannt ihr Schindluder treiben zu können. Sind also alle, die kein Internet nutzen, deshalb automatisch Freiheits-Fundamentalisten, weil sie sich beispielsweise dagegen wehren, dass all ihre Post sicherheitshalber als Kopie an die Polizei geht? Oder weil sie sich dagegen wehren, dass der Verkauf und Betrieb von Druckmaschinen nicht lückenlos polizeilich überwacht wird, um so die Herstellung anonymer Flugblätter wirksamer zu unterbinden?
Es ist also kein Kampf zwischen kulturlosen und anarchistischen Internet-Spinnern auf der einen Seite und verantwortungsvollen internetkritischen Hütern von Recht und Gesetz auf der anderen Seite, sondern es geht schlicht um einen Streit über die Wichtigkeit von Freiheit versus Kontrolle. Wefing kapiert nur nicht, dass technisch bedingt im Internet nicht eine vollständige Kontrolle durchgesetzt werden kann ohne die Freiheit nicht vollständig (und darauf kommt es an: vollständig!) zu gefährden. Diese Aussage ist kein Ausdruck eines ideologischen Freiheits-Fundamentalismus, sondern spiegelt schlicht die gegebenen technischen Realitäten des Internets wider.
Ich vermute die Ursache des Missverständnisses liegt allein darin begründet, dass viele der Leute, die für Internetsperren plädieren oder für eine schärfere Durchsetzung der Strafverfolgung bei Urheberrechtsverletzungen oder bei Beleidigungsdelikten zu wenig Ahnung haben von der Internettechnik.
Ich bitte solche Leute wie diesen Heinrich Wefing inständig darum, sich weiterzubilden. Danke.