Im Gespräch: Wolfgang Schäuble und Winfried Hassemer: Wie viele Sicherheitsgesetze überlebt der Rechtsstaat? (FAZ.net)
Zitat:
Schäuble: [...] Zu den weniger ruhmreichen Taten des Verfassungsgerichts in meiner Erinnerung gehört eine einstweilige Anordnung im Volkszählungsverfahren in den achtziger Jahren. Die öffentliche Erregung, die damals große Teile des Landes ergriff, kann heute niemand mehr nachvollziehen. (Quelle: FAZ.net)
Wenn ich Schäuble hier richtig verstehe, bezieht er sich hier auf das wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem es das neue Grundrecht auf
Informationelle Selbstbestimmung (Wikipedia.org) ausformulierte. Schäuble hält von diesem Grundrecht also anscheinend nicht viel.
Zur öffentlichen Debatte über die Onlinedurchsuchung sagt Schäuble:
Schäuble: Was mich störte an der Debatte, war ihre Länge. So entstehen Verunsicherungen in vielen Teilen der Bevölkerung [...]. (Quelle: FAZ.net)
Komisch, bei mir nahm die Verunsicherung mit zunehmender Debatte ab. Könnte es sein, dass Verunsicherungen dadurch entstanden, dass lange Debatten - manche bezeichnen das Phänomen "lange Debatte" auch als "ausführliche Debatte" - die seltsame Wirkung haben, dass schwache Argumente als schwache Argumente entlarvt werden und dies eventuell auf Seiten der Vertreter solcher schwacher Argumente derartige Verunsicherungen auslösen?
Schäuble sieht "enge Voraussetzungen" bei der Einschränkung von Bürgerrechten in seinen Gesetzen:
Zu Zeiten von Wallenstein musste man Boten abfangen. Im Computerzeitalter muss es unter engen Voraussetzungen die Möglichkeit des Aufspürens elektronischer Botschaften geben. (Quelle: FAZ.net)
So als ob der Mangel an solchen engen Voraussetzungen in den Gesetzesvorhaben von Schäuble nicht genau der den Kritikern wichtigste Punkt gewesen wäre...
Auch im weiteren Verlauf des Gespräches tut Schäuble so, als ob es bei der Verabschiedung von Vorratsdatenspeicherung, Anti-Terror-Paketen, Onlinedurchsuchung/BKA-Gesetz von seiner Seite aus eine faire (das heißt mit handgreiflichen Daten und Argumenten gestützte) Diskussion über Kosten und Nutzen in Bezug auf Freiheit und Sicherheit gegeben hätte.
Zur Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts bei der Vorratsdatenspeicherung:
Schäuble: In der Tat muss man sich fragen, wie weit das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung gehen kann. Ich habe zum Beispiel verfassungsrechtliche Zweifel, ob das Verfassungsgericht wirklich entscheiden sollte, für welche Straftaten man welches Instrument gesetzlich vorsehen kann oder nicht. In der einstweiligen Anordnung zur Vorratsdatenspeicherung hat es das getan. Es ist doch Sache des Gesetzgebers, zu sagen: Für diese Straftat kann ich dieses Instrument einsetzen – für jene nicht. (Quelle: FAZ.net)
Schäuble erwähnt selbst, dass es sich um eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts handelt. Das Gericht hatte keine andere Möglichkeit in der Schnelle als die Vorratsdatenspeicherung auf diese Weise erst einmal auszubremsen. Es ist eine Notlösung. Statt einer genauen Diagnose, wo und wie ein Gesetz eventuell umgebaut werden muss, nimmt das Gericht erst einmal etwas Power aus dem Gesetz, indem es seine Anwendung einschränkt. Statt einer Reparatur muss der Gesetzeswagen also erstmal maximal im ersten Gang weiterhumpeln.
Aber vielleicht hat Herr Schäuble ja doch etwas gelernt in den Auseinandersetzungen in den letzten Jahren. Denn es findet sich auch folgender Satz im Interview:
Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Sie darf es nicht geben. Nichts im Leben ist hundertprozentig. Und jeder Staat, der nach hundertprozentigen Regelungen strebt, fängt an, sich von der Freiheit wegzuentwickeln. Quelle: FAZ.net)
Wenn es nicht bloß ein Lippenbekenntnis ist. Aber vielleicht stimmt er sich und die CDU schon ein auf eine Koalition mit der FDP. Denn bei allem, was ich (vor allem bei der Wirtschaftspolitik) an der FDP auszusetzen hätte, hat die FDP doch einen großen Vorteil: Ein gewisser Wiefelspütz ist nicht Mitglied der FDP-Fraktion.
Leider meint Schäuble weiterhin, dass das herkömmliche Strafrecht nicht ausreiche, um mit dem internationalen Terror fertig zu werden, sondern dass man irgendwie neben dem normalen Strafrecht ein Sonderrecht für besondere Situationen brauche, so wie man im Krieg Feinde auch nicht gerichtlich anklagen würde, sondern bekämpfen müsse. Einleuchtende Argumente für diese Einschätzung, dass der Terrorismus etwas derart herausgehoben Anderes sein soll als letztlich besonders brutale, organisierte Kriminalität, liefert er auch in diesem Interview jedoch nicht.
Das Wort "Prävention" kommt übrigens im ganzen Interview nicht vor.