User-generated Nonsense (Telepolis.de)
Ein Professor für Wirtschaftsinformatik (gelernter Germanist und Philosoph) macht sich Sorgen über die Qualität von Literatur-Rezensionen im Internet. Ich hatte neulich erst genau auf dieses immense Qualitäts-Problem hingewiesen.
Dieses Problem zum Thema zu machen, ist äußerst löblich, denn es gibt viele schlechte Literatur-Rezensionen. Besonders im Internet. Denn da ist es ja mittlerweile, also seit kurzer Zeit, Sitte geworden, also wenn man das überhaupt "Sitte" nennen darf, dass jeder, wirklich jeder, jeder, der gerade erst Schreiben gelernt hat, etwas reinschreibt. Also in das Internet was reinschreibt. Einfach so. So wie ich hier jetzt gerade. Aber ich mache ja keine Literatur-Rezension hier. Also darf ich wohl weiterschreiben. Hoffe ich. Der Herr Professor war gerade nicht zu erreichen. Konnte ihn also nicht um Erlaubnis fragen. Naja. Also der Herr Professor beschwert sich ja auch nur über diese ganzen schlecht gemachten Literatur-Rezensionen. Oder besser "Rezensionen". Mit Anführungszeichen. Im Internet. Furchtbar. Aber lesen sie selbst:
Leider verleiht das Web 2.0 den ganz unterschiedlichen Stimmen eine ähnliche Bedeutung. Wenn Marcel Reich-Ranicki oder Joachim Kaiser und ein literarischer Laie ein Buch besprechen und dessen Titel oder den Namen des Autors erwähnen, werden die Beiträge von der Suchmaschine unter- und damit nebeneinander gelistet. Bei unbekannten Autoren fallen einzelne Aussagen von Laien durchaus ins Gewicht. Und bei bekannten macht es die Masse. (Quelle: Telepolis.de)
Gut, äh, man könnte jetzt natürlich speziell nach Rezensionen von Reich-Ranicki suchen. Dann bräuchte man diese Massen an Nicht-Reich-Ranicki-Rezensionen nicht weiter zur Kenntnis zu nehmen. Aber:
Was im Web liegenbleibt, tritt sich fest. (Quelle: Telepolis.de)
Das ist eben das Problem. Selbst wenn man nicht danach sucht, es steht eben doch im Internet. All das Schlechte. Und verschmutzt dann da das Netz. Gammelt vor sich hin. Ignorieren hilft da nicht. Das Zeug geht von alleine nicht wieder weg!
Noch schlimmer als die mindere Qualität der vielen Pseudo-Literatur-Rezensionen im Internet, die von Uneingeweihten geschrieben werden, die noch nicht einmal ahnen, dass es eine spezielle Sprache gibt für Rezensionen, die man erst mühsam über Jahre hinweg lernen muss, ist aber, dass viele Internetschreiberlinge die absolut unverschämte Angewohnheit haben, anonym zu schreiben.
es ergibt sich ein Ungleichgewicht der Namen, ein unseliges Verhältnis zwischen dem anonymen Rezensenten und dem genannten Schriftsteller. Solche Ungleichgewichte werden wesentliche Errungenschaften des Rechtsstaats auf die Dauer zerstören: Die scheinbare, grenzenlose Meinungsfreiheit wird die echte Meinungsfreiheit aushöhlen und zusammenstürzen lassen. Die Aufsichtsbehörden der Länder hätten die Pflicht, auf Meldungen zu reagieren und die Betreiber der Plattformen und Blogs auf ihre Pflicht aufmerksam zu machen; die Betreiber der Plattformen hätten die Pflicht, ihre Angebote zu sichten und die Betreiber der Blogs auf ihre Pflicht aufmerksam zu machen. Es existieren in diesem Bereich genügend Gesetze, Regelungen und Pflichten, für die sich allerdings nicht wirklich jemand interessiert. Die Verwaltungen des Rechtsstaats verwalten den Rechtsstaat; dessen Grundlagen und Ideale sind ihnen egal. Doch selbst mit dem Verwalten wollen oder können sie nicht nachkommen. Der Rezensentenmob, zu dem die Laien im Web immer wieder werden, durchbricht die Schranken. (Quelle: Telepolis.de)
Kurz: Wer frei im Netz und anonym seine Meinung sagt, ist nach Ansicht dieses Professors ein Rechtsbrecher. Außer natürlich, der anonyme Rezensentenmob rezensiert nur Bücher eines Autors, der selbst unter Pseudonym schreibt, vermute ich. Da wäre das geheimnisvolle Gleichgewicht, das laut Professor wieder hergestellt werden soll, wohl nicht gestört.
Leider gilt diese Rechtsauffassung, dass anonyme Meinungsäußerungen etwas Gefährliches sind, nicht überall auf der Welt. In den unzivilisierten USA gibt es sogar ein verfassungsmäßig festgeschriebenes Recht auf anonyme Meinungsäußerung. Aber die USA waren bekanntlich schon immer der Ursprung von Barbareien wie beispielsweise der ekelhaften Popkultur, des Fastfoods, der Fox-News und der modernen Demokratie (gut, das stimmt jetzt alles nicht hundertprozentig, aber die USA haben bei der Entwicklung dieser Dinge ganz bestimmt eine nicht gerade kleine Rolle gespielt).
Aber der Herr Professor lebt ja in Europa. Hier gelten andere Qualitätsmaßstäbe. Hier soll das Internet jetzt wieder rein werden, zumindest frei von entarteten Literatur-Rezensionen. Der Herr Professor weiß auch wie:
Die Verschmutzer des Internets müssen wissen, was sie tun; und wenn sie wissen, was sie tun, müssen sie die Konsequenzen tragen. Die Benutzer müssen wissen, was sie vor sich haben; und wenn sie es wissen, müssen sie nachdenken und handeln. Beispielsweise können sie - eine mögliche zweite Antwort - versuchen, die anonymen Blogger und Blogs selbst zum Thema zu machen. In der Masse sind diese stark, in der Anonymität, aber wehe, man bespricht ihre Angebote und Beiträge. [...]
Das wäre sie endlich, die Selbstreinigungskraft des Internets. (Quelle: Telepolis.de)
Ja, dann mal frisch ans Werk. Reinigen wir das Internet.
Und ich dachte immer, ich könnte den Schwachsinn im Internet einfach ignorieren. Deswegen hatte ich fast auch schon vor, des Herrn Professors Artikel gar nicht zu erwähnen. Aber er sagt ja selbst, dass man so etwas nicht ignorieren darf, sondern darauf hinweisen muss, es zum Thema machen muss, solche Beiträge und Angebote besprechen muss, um das Internet zu reinigen.
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