Samstag, 16. Mai 2009

Wie die West-Allierten über Jahrzehnte in riesigem Umfang die Telekommunikation und den Briefverkehr in Westdeutschland überwachten

Großer Lauschangriff im Kalten Krieg (Spiegel.de)

Wie die West-Alliierten in manchen Regionen West-Deutschlands den gesamten Briefverkehr über Jahrzehnte öffneten und mitlasen.

Zitat:

Deutsche Behörden leisteten bei der Zensur Handlangerdienste. Nach Angaben der Oberpostdirektion Regensburg wurde beinahe der gesamte Briefverkehr in ihrem Bezirk kontrolliert. Insgesamt händigten die Deutschen zwischen 1960 und 1967 nachweislich über 40 Millionen Postsendungen dem großen Bruder USA aus [...].

Auch in der französischen Zone wurde flächendeckend geschnüffelt. Es werde "die gesamte Post grundsätzlich den französischen Behörden zur Zensur zugeleitet", schrieb 1951 Heinrich von Brentano, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an Kanzler Konrad Adenauer. Auch wisse er, "dass beispielsweise in Mainz die Landesregierung, der Landtag, die Gerichtsbehörden, die politischen Parteien, die konfessionellen Verbände, der Bauernverband, das Regierungspräsidium, die Verlage, die Bischöfliche Kanzlei, der Bischof selbst, eine Anzahl von Anwälten, Landtags- und Bundestagsabgeordneten, bestimmte Firmen und Zeitungen usw. dieser ständigen Kontrolle unterliegen". (Quelle: Spiegel.de)

Und es wurde nicht nur abgehört und mitgelesen, sondern auch unzählige Postsendungen wurden einfach aus dem Verkehr gezogen, sprich zensiert:
In den Unterlagen der US-Armee ist penibel vermerkt, in welchem Umfang Mitarbeiter deutscher Zoll- und Polizeidienststellen, der Bundesbahn und insbesondere der Post DDR-Flugblätter, Poster oder auch Filme für die US-Dienste abfingen. Allein im Kreis Coburg wog das innerhalb eines Monats beschlagnahmte Material Hunderte von Kilogramm. (Quelle: Spiegel.de)

Aber nicht nur die West-Alliierten zogen fleißig Tonnen von Briefpost einfach so aus dem Verkehr, nein auch deutsche Stellen filterten den Briefverkehr und zogen zwischen 1955 und 1968 ungefähr 100 Millionen Sendungen aus dem Verkehr - auf Grundlage des Gesetzes, das das Verbreiten von Schriften verbot, "die darauf gerichtet sind, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen".

Dieses Gesetz hielt ich bislang immer für einen "Papiertiger". Denn damit dieses Gesetz umfangreichen Schaden anrichtet, müssten ja große Teile des Briefverkehrs geöffnet und überwacht werden. Das hielt ich bislang für undenkbar. Ich habe mich geirrt.

In Hannover mussten Strafgefangene schließlich in den Kellern von Haftanstalten die Ausbeute an SED-Broschüren, Ausgaben des "Neuen Deutschland" oder Massendrucksachen aus der DDR in den Reißwolf stopfen. (Quelle: Spiegel.de)

Und ich habe mich als Kind immer darüber lustig gemacht, wie die DDR-Grenzer uns Westdeutsche an der Grenze filzten und solch harmlosen Schund wie das Magazin "Stern" oder auf die Reise mitgenommene Ausgaben der Lokalzeitung konfiszierten.

Aber so ist das immer mit dem Filtern der Kommunikation: Die Überwacher werden immer übers Ziel hinausschießen. Das, was im Gesetz als Ausnahme gestattet ist, wird immer zum Regelfall werden. Die Eskalation von Überwachung und Filterung ist systemimmanent, weil von einem Zensor immer die Gefahr, etwas Gefährliches zu übersehen, als schlimmer eingeschätzt wird als die Gefahr, etwas Ungefährliches fälschlicherweise zu filtern und zu zensieren. So wird immer mehr Ungefährliches gefiltert. Die im Gesetz festgelegten Ausnahmefälle, in denen gefiltert werden darf, werden in der Praxis immer mehr ausgeweitet. Genauso würde sich das auch bei einer Internetzensur entwickeln. Das ist unabhängig davon, ob mit der Filterung und Zensur besonders vertrauenswürdige Menschen oder Dienste beauftragt werden. Es liegt einfach in der Natur eines wie auch immer gearteten Filter- und Zensursystems.

Seit 1968 ist den Alliierten das Belauschen und Überwachen und Filtern des Briefverkehrs verboten, weil danach die deutschen Dienste diese Aufgabe übernommen haben. Und wer die Natur von Geheimdiensten erahnt (siehe meine Ausführung dazu oben), der erahnt auch, dass diese niemals weniger bespitzeln, sondern immer mehr. Man kann also davon ausgehen, dass weiterhin große Teile des Briefverkehrs aller Deutschen intensiv überwacht werden. Ganz zu schweigen von den zahlreichen "illegalen" Aktivitäten ausländischer Geheimdienste.

Es ist vernünftiger anzunehmen, dass jede Wohnung in Deutschland und jedes Telefon und jeder Brief von irgendeinem inländischen oder ausländischen Dienst teilweise überwacht wird, als anzunehmen, dass man nicht überwacht wird. Es ist ein Leichtes, unbemerkt mit dem entsprechenden Werkzeug und Können innerhalb weniger Minuten, ja Sekunden in Wohnungen einzudringen und dort beispielsweise Abhörgeräte anzubringen oder Keylogger auf oder an Computern zu installieren. Das Öffnen von Briefen scheint ja auch unbemerkt zu funktionieren.

Somit gibt es letztlich nur eine Form der Kommunikation, die schwer abzuhören ist: Das Versenden von verschlüsselten E-mails von einem gut gesicherten (Festplattenverschlüsselung etc.) Laptop aus, das man möglichst immer bei sich haben sollte (um die Gefahr des unbemerkten Anbringens von Hardware-Keyloggern zu minimieren). Allerdings müsste die Empfängerseite ebenfalls derartig vorsichtig mit ihrem Laptop umgehen.

Es zeigt sich also erneut: Mit technischen Mitteln kann man sich kaum gegen illegales Abhören, Beobachten und Filtern wehren. Der einzige Weg, die Freiheitsrechte zu schützen, ist der politische Weg, beispielsweise die rigide öffentliche Kontrolle von Geheimdiensten und Exekutivorganen und das umfangreiche Einstampfen ihrer Befugnisse. Das würde allerdings beispielsweise die Wiederherstellung der Unabhängigkeit der Legislative voraussetzen und somit eine grundlegende Reform der derzeitigen Parteiendemokratie.

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