Freitag, 3. Juli 2009

Heribert Prantl kommentiert die Unsitte, Reden im Parlament nachts zu Protokoll zu geben

Neue Bundestags-Geschäftsordnung: Das Parlament als Farce (Süddeutsche Zeitung)

Mal wieder ein lesenswerter Kommentar von Heribert Prantl über den beklagenswerten Zustand der Demokratie in Deutschland, weil der Bundestag zu einer Farce eines Parlamentes verkommen ist.

Zitat:

Reden werden ungehalten zu Protokoll gegeben, Diskussion und Öffentlichkeit entfallen: So erledigt der Deutsche Bundestag Gesetze - und sich selbst. [...]

Die zweite und dritte Lesung von Gesetzen bestand einzig und allein in der Niederlegung von schriftlichen Reden. [...]

Wird die fehlende Beratung im Plenum durch die Beratung in den Ausschüssen ersetzt? Derzeit nicht. Ausschusssitzungen sind nicht öffentlich. (Quelle: Sueddeutsche.de)

So werden gerade besonders lästige und strittige Themen nicht mehr öffentlich verhandelt im Bundestag. Auch die kleineren Fraktionen lassen sich auf dieses Spiel ein, um mit ihren Themen im Gegenzug und im Poker um die Zeitaufteilung nicht immer am Ende des Sitzungstages, also in der Nacht, zu landen.

Statt also in der Öffentlichkeit und damit auch in den Medien mit Ton und Bild, vielleicht sogar live, zu streiten und Argumente auszutauschen, direkt auf das vorher Gesagte einzugehen, Zwischenfragen zu ermöglichen und medienwirksam zu präsentieren, wird die politische Diskussion im Bundestag abgetötet und der Zugang zur politischen Diskussion absichtlich erschwert.

Die Rede muss gehalten werden, muss geredet werden, muss vorgetragen werden. Ihre Form und ihr Inhalt ist zwingend an den mündlichen Vortrag und an die Zuhörer und an den Ort ihres Vortrages gebunden, weil sie Aussagen zuspitzen muss, um die Zuhörer nicht zu ermüden, weil sie deshalb klarer strukturiert sein muss, weil sie immer mehr offenbart und den Redner mehr "festnagelt" als beispielsweise ein schriftlicher Aufsatz, in dem jemand sich nach allen Seiten absichern kann und schwammig und ausweichend sich zu Dingen äußern kann. Eine zu Protokoll gegebene Rede ist somit eine Verweigerung des Dialogs, eine Verweigerung, sich klar zu positionieren, eine Verweigerung, den politischen Gegner herauszufordern und eine Verweigerung, Dinge beim Namen zu nennen. Eine zu Protokoll gegebene Rede ist eine Verweigerung der Abgeordneten vor der Demokratie und eine Verhöhnung des Wählers.

Andererseits macht die Tatsache, dass die Abgeordneten derart freiwillig auf ihre Reden verzichten, erneut deutlich, dass die Abgeordneten ihre Arbeit im Parlament selbst weitgehend als überflüssig ansehen. Nur eine in der Tat im politischen Geschehen überflüssige Institution kann ohne direkte Folgen ihr Handeln und Tun derart beschneiden. Für den amerikanischen Kongress beispielsweise wäre es schlichtweg undenkbar, dass die Senatoren und Abgeordneten im Repräsentantenhaus freiwillig derart auf ihre öffentlichen Reden verzichten würden. Dies würde sofort zu einer Krise des gesamten demokratischen Systems in den USA führen. In Deutschland jedoch kann der Bundestag ohne direkte sichtbare Folgen auf Debatten verzichten. Eben, weil der Bundestag überflüssig ist und eben weil es in der deutschen Demokratie in der Praxis keine wirksame Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive gibt, weil bei Bundesregierung und Bundestag immer der gleiche "Spieler" im Hintergrund das Sagen hat, nämlich die Mehrheitspartei oder Mehrheitskoalition. Ein Bundestag ist bei diesem System schlicht überflüssig, denn die Politik sowohl von Bundesregierung als auch von Bundestag wird in Deutschland letztlich durch die Mehrheitspartei und dort durch ein informelles Netzwerk an einflussreichen Parteileuten bestimmt.

Leider macht Heribert Prantl auch in diesem Kommentar wieder nicht auf diesen Umstand aufmerksam, also auf das große System-Problem, auf den großen Web-Fehler im politischen System Deutschlands.

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