Donnerstag, 20. November 2008

Datenreport 2008: Deutsche unzufrieden über zu wenig Einfluss des Bürgers auf Politik

Datenreport 2008: Wir sind Demokratiemuffel (Frankfurter Rundschau)

Ausschnitt:

Zwar bejahen 89 Prozent der Westdeutschen und 63 Prozent der Ossis die Demokratie ausdrücklich. Doch auf der Skala, wie zufrieden sie sind mit der Demokratie im eigenen Land, stufen sich die Bundesbürger auf Platz 14 der westeuropäischen EU-Staaten und damit im unteren Drittel ein. Fragt man nur die "Ossis", landet Deutschland im Demokratie-Ranking sogar knapp vor Portugal auf dem vorletzten Platz. [...]

Der Frust über die demokratische Praxis sei sogar noch größer als der über das seit Jahren nicht gestiegene Haushaltseinkommen und die weiter auseinanderdriftende Schere zwischen Arm und Reich, so der Report. (Quelle: FR-Online.de)

Ein hochinteressanter Befund! Es ist also eben nicht ein allgemeiner, ungerichteter Politik-Frust oder ein allgemeines Desinteresse oder gar ein allgemeiner Wunsch nach einem "starken Führer" oder dergleichen. Auch der schlichte Wunsch nach "mehr Geld" ist anscheinend nicht der Hauptgrund für die Unzufriedenheit. Sondern es ist wohl die Unzufriedenheit über zu wenig Mitbestimmung und zu wenig politischen Einfluss, der hier aus den Daten spricht. Die Deutschen wollen nicht weniger Demokratie, sondern mehr.

Aber natürlich werden die Politiker der großen Koalition da etwas ganz anderes herauslesen und mit ihrer Deutung - wie immer - die Meinungshoheit in den deutschen Medien besetzen. Also wird der Bericht entweder ignoriert oder bewusst missdeutet werden. Dass die neoliberale Politik von SPD und Union Schuld an dem Desaster ist, wird bestimmt nicht in den etablierten Medien ausgiebig thematisiert werden.

Und genau diese Mechanismen des politischen Geschehens sind es vermutlich, die die Deutschen an ihrer Demokratie zweifeln lassen: Die regierenden Parteien betreiben ganz offen Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung (Stichworte: Gesundheitspolitik, Bildungspolitik, Rentenpolitik, Privatisierungen, also durchgehend die Schwächung der öffentlichen Hand, häufig zu Gunsten einzelner Profiteure in der Privatwirtschaft und die häufige Symbolpolitik, die nur dazu dient, behaupten zu können, etwas getan zu haben) und werden dabei gestützt durch einen überwältigenden Teil der Medien. Wer da keine Zweifel an der Demokratie bekommt, ist senil oder gehört zu den wenigen Profiteuren dieses Systems.

Zu fragen wäre, wie man das deutsche politische System wieder durchgängiger machen könnte und welche Mechanismen nötig wären, um ein Regieren gegen das Volk zu unterbinden und warum sowohl die öffentlich-rechtlichen Medien als auch der Großteil der privaten Medien kein ehrliches Forum der öffentlichen Diskussion mehr darstellen.

Eventuell wäre ein völliger Umbau des demokratischen Systems nötig. Zum Beispiel das Abschaffen der Parteiendemokratie und die Entwicklung eines Wahlsystems, das nur auf der Wahl direkter Abgeordneter beruht - plus einer Komponente, die verhindert, dass dann nur die jeweils siegreichen Kandidaten eines Wahlkreises ins Parlament einziehen. Beispielsweise könnte man die ersten vier Kandidaten eines Wahlkreises ins Parlament einziehen lassen, nur mit dann vermindertem Stimmrecht, gewichtet nach der Prozentzahl der Stimmen, die sie tatsächlich bekommen haben. Dies würde die Kandidaten unabhängiger von den Parteien machen und so auch den Einfluss des Parteienproporz in der Gesellschaft (beispielsweise in den Medien) vermindern. Es käme zu mehr Wettbewerb (bislang hat der Wähler ja nur die Wahl zwischen immer den gleichen vier oder fünf "Kandidaten", nämlich den Parteien) und Offenheit der Politik und zu einer gesteigerten Notwendigkeit der Kandidaten, auf den Wähler zuzugehen. Dies würde die Transparenz der Politik deutlich erhöhen und den Einfluss von Lobbyisten vermindern. Abstimmungen im Parlament müssten zudem immer offen erfolgen. Bündelungen von Abstimmungen wären verboten. Jeder Wähler könnte so sehen, wie "sein" Kandidat sich verhält. Es gäbe keinen Fraktionszwang mehr. Parteien wären nur noch Organisationsplattform und Sammelbecken für politich ähnlich eingestellte Direktkandidaten. Und so weiter.

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